Verena Landau im Gespräch mit Henry Mathews

HM: Frau Landau, finden Sie als Malerin nirgends bessere Motive als in Aktionärs-Hauptversammlungen?

VL: Es gäbe gewiss schönere Dinge, die man malen kann, Kommentare wie diese vernahm ich auch in meiner Ausstellung »passover«, die dieser Edition vorausging. Das Klischee, dass Malerei für das Schöne zuständig sei, behauptet sich hartnäckig. Dabei lassen sich in der Kunstgeschichte Gegenbeispiele finden. Auch ich malte bis vor einigen Jahren überwiegend Dinge, die ich mochte oder die mich faszinierten. Seit 2002 beschäftigen mich allerdings verstärkt unschöne Themen, die das Medium Malerei traditionell eher ausklammert: das Verhältnis von Kunst und Besitz, die Funktionalisierung von Kunst durch die Wirtschaft. Was geschieht beispielsweise mit einem Bild, wenn ich es an eine Bank verkauft habe? Und: Will ich überhaupt an Unternehmen verkaufen, deren Geschäfte in menschenrechtsverletzende Machenschaften verwickelt sind, die aber gerade durch Kunstförderung versuchen, sich einen ethischen Anstrich zu geben? Das Politische in der Kunst beginnt für mich mit dem Hinterfragen der Verwertungszusammen- hänge, in die sich Kunst begibt. Es hat mich gereizt, diesen Widersprüchen im Medium Malerei nachzuge- hen. Die Malerei eignet sich ja durch ihre Warenförmigkeit besonders zur Reproduktion von Besitzver- hältnissen. Ich wollte zeigen, dass Malerei ebenso als kommunikatives Medium genutzt werden kann, wie in meinem Interviewprojekt »Feindbild-Verleih«, welches ich für eine interdisziplinäre Tagung und Ausstellung 2005 durchführte. Ich verlieh gemalte »Feind-Bilder« aus Politik und Wirtschaft an Leipziger Bürger, um sie vor diesen und über diese zum Sprechen zu bringen. Für dieses Projekt musste ich Figuren wie Albrecht Schmidt, Hilmar Kopper und natürlich Josef Ackermann malen. Von dort ausgehend war für mich der Weg in die Aktionärsversammlungen nicht mehr weit.

HM: Und warum haben Sie Ihrem Gemälde-Zyklus den Titel »passover« gegeben?

VL: Die sechs Motive der Edition handeln ja eher vom Eintreten in die Aktionärsversammlung, als von der eigentlichen Massenveranstaltung. An den Besuchen der Hauptversammlungen hat mich besonders meine Wahrnehmung des Hineingehens interessiert, sei es, weil ich selbst zum ersten Mal dort war, sei es, weil dieses Moment an meine langjährige malerische Beschäftigung mit transitorischen Situationen anknüpft. Es ergab sich auch ganz pragmatisch aus der Tatsache, dass das Filmen in den Hauptver- sammlungen selbst untersagt ist. Ich hielt mich zwar nicht an das Verbot und filmte auch im Saal weitest- gehend unentdeckt. Jedoch waren die Aufnahmen aus dem Eingangsbereich ergiebiger. Hinzuzufügen ist, dass die gemalte Serie »passover«, welche den digitalen Montagen als Material diente, aus 20 Formaten besteht. Im letzten Jahr filmte ich auch andere vergleichbare Transiträume und Barrieren, an welchen soziale Abgrenzungen markiert werden, wie z.B. Sicherheitskontrollen auf Flughäfen, Eingänge zu Bankfilialen, die Drehtür zu einem Museum. Der Titel »passover« stammt tatsächlich von einem Transparent, welches am Flughafen in Tel Aviv als Begrüßung zum Pessachfest angebracht war, unmittel- bar über der Passkontrolle. Lässt man diese Doppeldeutigkeit beiseite, so lässt sich ”to pass over“ über- setzen mit “übergehen, überwinden, übermitteln“. Deswegen habe ich den Titel für die Edition mit dem Unterstrich als Verb gekennzeichnet, also »pass_over«.

HM: Was verursacht die Verhaltensänderung der Personen beim Eintreten in die Hauptversammlung?

VL: Wie bei anderen Insider-Veranstaltungen kann man selbstverständlich auch hier dieses ritualisierte Verhalten beobachten: man tritt ein und ist Teil der Masse, man geht bewußt aufrecht, um gesehen zu werden, man will dazu gehören. Dies wird unterstützt durch einen bestimmten Kleidungskodex, der aber von Konzern zu Konzern unterschiedlich ist. Die typische Kleidung des Daimler-Aktionärs sind Jeans und kariertes Hemd oder Sweatshirt, die Hostessen trugen im letzten Jahr Mechaniker-Outfits und Baseball- caps, wodurch Aktionäre und Personal wie Angestellte des Automobil-Konzerns wirkten. Mir schien, dass dies bei Daimler-Chrysler die Codes sind, auf denen die Identifikation mit dem Unternehmen basiert. Bei der Hauptversammlung der Deutschen Bank hingegen ging es konventioneller zu, die klassisch gekleide- ten Gestalten auf dem letzten Blatt der Edition, »pass_over 06«, wären hierzu charakteristisch.

HM: Ihre Bilder erinnern mich an die Werke von Edward Hopper. Ist der Aktionär in der Hauptversamm- lung zwischen tausenden Menschen einsam? Oder ist er eingeschüchtert?

VL: Was mich mit Edward Hopper verbindet, obwohl sein malerischer Duktus ein ganz anderer ist, wäre vielleicht die Thematik des von seiner Umgebung entfremdeten Individuums. Edward Hopper malte ein leeres Theater vor der Vorstellung, nicht die klatschende Masse. Ob eine Aktionärsversammlung als ein- schüchternd erlebt wird oder nicht, ist davon abhängig, aus welchem Grund und in welcher Begleitung man sich darauf einlässt. Für die Masse der älteren Kleinaktionäre ist es ja ein soziales Event. Für mich persönlich war es, da wir uns als Künstler auf Einladung der Kritischen Aktionäre mit einem gemeinsa- men Anliegen hineinbegaben, ein anregendes Erlebnis. Es hatte auch einen gewissen Unterhaltungswert. Die Einsamkeit, die ich darstelle, ist nicht unbedingt das, was man in einer Aktionärsversammlung erlebt. Sie findet auf einer anderen Ebene statt: Eine Kulturwissenschaftlerin bezog die Atmosphäre meiner Bilder auf die »Nicht-Orte« des französischen Anthropologen Marc Augé. Kurz gesagt, geht es um Orte des öffentlichen Raums, die von Passanten gestreift werden, die sich in ihrer Anonymität und dem damit verbundenen Rollenspiel zunächst gefallen. Die Situationen sind jedoch letztendlich nicht identitätsstif- tend, sondern sie erzeugen nach Augé Gleichförmigkeit und Einsamkeit. Dieses Phänomen lässt sich, meiner Meinung nach, durchaus auf Aktionärsversammlungen beziehen. Die Aktionäre kommen nur zu diesen Anlässen temporär in einem provisorischen Ambiente zusammen, das vollkommen durchinsze- niert ist und quasi überall sein könnte. Meine Bildräume sind von stereotypen Figuren bevölkert: Stereotype, die man wiedererkennt, weil sie von realen Personen immer wieder neu besetzt werden. Beim genaueren Hinsehen finden sich jedoch auch andere spezifischere Erscheinungen, die ich beobach- tet habe, wie beispielsweise der gequälte Gesichtsausdruck einer Hostess oder die Präsenz der Gegen- demonstranten als Spiegelung in der Eingangstür.

HM: Für uns als Kritische Aktionärinnen und Aktionäre war es sehr spannend, den externen Blick einer bildenden Künstlerin auf unser Arbeitsumfeld zu erleben. Was hat Sie veranlasst, unsere Konzernkritik durch ihre Edition „pass_over“ zu unterstützen?

VL: Konzernkritik ist mir persönlich wichtig, da ich selbst immer wieder vor der Frage stehe, mit welchen Konzernen ich kooperieren kann und mit welchen nicht. Ich denke, dass man nach wie vor Unternehmen an einem neuralgischen Punkt treffen kann, wenn man ihnen den Zugriff auf Kunst entzieht. Dies kann nur eine Wirkung erzielen, wenn die Begründung für einen Boykott auch öffentlich verhandelt wird. Es gibt selbstverständlich keine Unterscheidung zwischen Gut und Böse, höchstens zwischen dem kleineren und dem größeren Übel. Würde ich ausschließlich an ethisch vertretbare Unternehmen verkaufen, wie Umweltbank Nürnberg oder Ethisches Investment Köln, könnte ich derzeit nicht überleben. Es ist mir aber wichtig, eine Grenze zu ziehen. Mein persönlicher Index der Firmen, mit denen ich nicht kooperieren würde, ist ungefähr identisch mit den Firmenportraits Ihrer Homepage. Die Recherchen der Kritischen Aktionäre sind für mich als »Nicht-Wirtschaftsexpertin« von unschätzbarem Wert! Zudem finde ich Ihren Ansatz spannend, bewusst Teil eines Systems zu werden, um es von innen zu kritisieren. Hier sehe ich eine interessante Parallele zum Kunstkontext. Der Ansatz könnte Künstlern den Impuls geben, ihre gesell- schaftliche Funktion zu hinterfragen und bewusster einzusetzen, zumal Kunstwerke heutzutage mehr denn je als Aktien gehandelt werden. Ich bin generell daran interessiert, die Zusammenarbeit mit außer- künstlerischen Initiativen, deren Ansätze mich überzeugen, zu intensivieren. Unsere Edition, an deren Verkauf und Erwerb das Statement einer kritischen Gegenöffentlichkeit gekoppelt ist, ist ein Schritt in die richtige Richtung! Dadurch lässt sich der symbolische Gerbrauchswert von Kunst umfunktionieren.

HM: Hat politisch motivierte Kunst denn heutzutage noch eine Zukunft?

VL: Ich sehe das Problem bei politischer Kunst heute, dass sie oft nicht konkret genug agiert. Sie bewegt sich in einem geschlossenen Diskursfeld und schafft es meist nicht, die Grenzen zu überschreiten, die der Diskurs eigentlich kritisiert. Zugleich ist politische Kunst seit den 70er Jahren selbst zu einer Stilrichtung, zu einer Nische, geworden. Es existieren jedoch, etwa seit Anfang der 90er, neue Strategien, in denen ein starkes Potential steckt: Eine kritische Praxis, die sich der Vereinnahmung durch die Wirtschaft entzieht, indem sie die gesamte Medienmaschinerie der Konzerne gegen sich selbst arbeiten lässt. Adbuster und Netzaktivisten, die unternehmenseigene Werbung benutzen, um sie zu verfremden oder ihre Symbole umzudeuten, sind hier den Künstlern oft weit voraus. Die Grenzziehung zwischen Kunst und anderen poli- tischen Aktionsformen sollte einmal mehr grundlegend in Frage gestellt werden, sie löst sich hier teilwei- se auf. Als Beispiel: Die Künstlerin Silke Wagner kaufte einen VW-Bus, strich ihn in den Farben der Lufthansa und fuhr damit auf das Gelände des Frankfurter Flughafens, um über Abschiebung zu informie- ren und um, gemeinsam mit Initiativen, Betroffene zu unterstützen. Das Fahrzeug trug den Schriftzug »Lufttransa Deportation Class«. Sie wurde von der Firma Lufthansa wegen Diffamierung verklagt, letzten Endes aber freigesprochen. Ein anderes eher witziges Beispiel: Der Aktionskünstler Armin Chodzinski ver- schickte Postkarten mit einem strahlenden Portrait von Josef Ackermann, als dieser gerade in die Vorstandsetage der Deutschen Bank gewechselt war. Mit diesen Karten wurde für ein ironisch glorifizie- rendes Buch über Herrn Ackermann geworben. Dieser verklagte den Künstler mit der Begründung, sein Bildnis dürfe nicht für Werbezwecke missbraucht werden. Er hatte aber keine Chance, weil es das Buch dazu gar nicht gab. Projekte dieser Art schaffen es, Kontexte geschickt umzukehren. Die Zusammenarbeit zwischen Künstlern und politischen oder sozialen Initiativen halte ich für wichtig, denn es gibt viel von- einander zu lernen. In diesem Sinne freue ich mich über die unterschiedlichen Kooperationen, die sich seit unserer Begegnung im vergangenen Jahr zwischen Konzernkritikern und Künstlern entwickelt haben! Es gibt bereits Ideen für Performances und Interventionen in den kommenden Hauptversammlungen. Ein Berliner Künstler gibt beispielsweise in Kürze einen Theaterworkshop zur Vorbereitung der von den Gewerkschaftlichen Basisaktivisten geplanten Aktionen zur DaimlerChrysler-HV im April 2006.